Inklusive Bildung bedeutet einen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft

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Am 7. Juli habe ich im Bundestagsplenum mit der folgenden Rede die wichtige Bedeutung inklusiver Bildung unterstrichen. Es lohnt sich für die gesamte Gesellschaft und ein respektvolles Miteinander den begonnen Weg für mehr Inklusion weiterzugehen:

Oliver Kaczmarek (SPD): „Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal finde ich es vom Grundsatz her gut, dass wir heute die Gelegenheit haben, dieses Thema zu diskutieren. Allerdings glaube ich, dass wir in der Thematik doch schon etwas weiter sind; denn die Behindertenrechtskonvention ist seit sieben Jahren in Kraft. Kitas, Schulen und Hochschulen haben sich auf den Weg gemacht, und deshalb finde ich einige Stichpunkte grundsätzlicher Art in Ihrem Antrag, in dem es um neue Lernkulturen und meinetwegen auch um eine Enquete-Kommission geht, durchaus diskussionswürdig. Aber das hilft den Schulen, die sich schon auf den Weg gemacht haben, in ihrem Alltag im Moment recht wenig.

Deswegen möchte ich drei Anmerkungen zu dem machen, was wir in der Praxis von Inklusion, die wir schon seit einigen Jahren in den Ländern beobachten können, lernen können und was wir umsetzen müssen.

Die erste Anmerkung ist ganz klar: Es ist schon viel geleistet worden. Jedes dritte Kind mit Förderbedarf wird heute im gemeinsamen Unterricht in Deutschland beschult. Das ist ein Erfolg. Deswegen geht der erste Dank an diejenigen, die sich jeden Tag in ihre Klassen stellen, manchmal auch der Meinung sind, dass die Ausstattung nicht gerade optimal ist, und trotzdem jeden Tag dafür sorgen, dass Kinder gemeinsam beschult werden, dass Chancengleichheit ein Stück näher rückt. Da gibt es natürlich auch Unterschiede. Die Pionierländer wie Bremen oder Schleswig-Holstein sind schon weiter. Sie haben eine Inklusionsquote von über 60 Prozent an Schülern mit Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht. Hessen liegt als Schlusslicht bei gerade einmal gut 20 Prozent. Da gibt es unterschiedlichen Nachholbedarf. Darauf muss man differenziert eingehen.

Zweite Anmerkung: Ja, wir müssen da unterstützen, wo es hakt. Wir müssen die Probleme des Alltags aufgreifen. Ich will dazu zwei Stichworte aufnehmen.

Das erste Stichwort dazu, das Sie im Antrag richtigerweise nennen, ist die Barrierefreiheit. Dabei geht es um Investitionen in Schulgebäude. Das sind Zukunftsinvestitionen. Ich kann mir eigentlich kaum eine bessere Zukunftsinvestition in die Lern- und Lebensbedingungen von jungen Menschen, von Schülerinnen und Schülern vorstellen. Ich glaube, der Bund hat tatsächlich ein bisschen mitgeholfen, dass in den Ländern Spielraum dafür besteht. Ich denke zum Beispiel an die BAföG-Entlastungen. Das sind jedes Jahr knapp 1,2 Milliarden Euro, die in die Länder fließen und die die Länder – ich bin der Bundesregierung dafür dankbar, dass sie das in einer Unterrichtung klargestellt hat – genau für Bildung ausgeben. In der Unterrichtung steht, dass die Annahme gestützt wird, dass die freigewordenen Mittel den Bildungs- und Wissenschaftshaushalten der Länder zugutekommen. Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie diese absurde Diskussion über die Verwendung der BAföG-Mittel damit endlich beendet hat. Sie kommen der Bildung zugute.

Ich glaube, auch die Länder machen einiges. Ich will hier nur beispielhaft darauf hinweisen, dass Nordrhein-Westfalen gestern bekannt gegeben hat, dass in den nächsten vier Jahren zusammen mit der NRW.BANK jeweils eine halbe Milliarde Euro pro Jahr mobilisiert wird, um Schulgebäude in Nordrhein-Westfalen zu modernisieren. Ich glaube, das ist genau das richtige Zeichen.

Zweites Stichwort: Ja, gute und überzeugte Lehrerinnen und Lehrer, Profis für Inklusion sind der Schlüssel für das Gelingen von inklusiver Bildung. Die Länder leisten da sicherlich ganz viel. Das jetzt im Einzelnen aufzuführen, würde zu weit führen. Ich glaube, dass auch der Bund seinen Beitrag dazu leistet. Wir haben mit der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ ein Instrument in der Hand, mit dem wir Innovationen im Bildungswesen anreizen und Best Practice verbreiten wollen. Tatsächlich ist es so, dass in der ersten Förderrunde neun Projektebewilligt worden sind, die sich direkt auf Inklusion beziehen. 51 von 59 geförderten Projekten beziehen Heterogenität im Unterricht, heterogene Lerngruppen und Inklusion ausdrücklich in ihre Konzepte ein. An dieser Stelle erhoffen wir uns auch für die zweite Förderrunde eine ganze Menge. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir mithelfen, die Lehrerausbildung zu modernisieren. Zuhören und bei den Alltagsproblemen anpacken – das ist das, was jetzt gefordert wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Anmerkung zum Schluss. Ich sorge mich – wie viele andere auch – darum, dass sich kritische Meldungen häufen über die Frage, wie eigentlich Inklusion an Schulen umgesetzt wird und wie sich das Klima an Schulen entwickelt. Ich glaube, wir müssen auf Folgendes hinweisen: Inklusion, inklusive Bildung, das bedeutet einen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft – für die Kinder mit Behinderung, weil sie mehr Chancengleichheit bekommen, aber auch für alle anderen, weil sie etwas über soziales Lernen erfahren, über Diversität in pluralistischen Gesellschaften usw. Wir müssen immer wieder die Akzeptanz aufrechterhalten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen sehen, dass es einen Mehrwert hat. Es lohnt sich, für inklusive Bildung zu kämpfen.“

Das Video zu meiner Rede im Plenum des Deutschen Bundestages können Sie sich hier nochmal anschauen.