Herausforderungen für das deutsche Bildungswesen angehen

Am Donnerstag hat Oliver Kaczmarek eine Rede zu Tagesordnungspunkt 16 der 201. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages gehalten. Dabei ging es um Anträge der Grünen und der Linken zum Nationalen Bildungsbericht 2012 und zur Inklusiven Bildung:

Mit dem Nationalen Bildungsbericht 2012 ist wieder ein facettenreiches und komplexes Werk über das Bildungswesen in Deutschland vorgelegt worden, das der Bildungspolitik wertvolles Steuerungswissen liefert. Der Dank dafür gilt zuerst den an der Autorengruppe beteiligten wissenschaftlichen Einrichtungen, statistischen Ämtern und denen, die darüber hinaus Sonderauswertungen beigesteuert haben.

Der Nationale Bildungsbericht hat sich als wichtiges Instrumentarium der deutschen Bildungspolitik etabliert. Nun gilt es, ihn pädagogisch und bildungspolitisch sinnvoll weiterzuentwickeln. So sollte zukünftig beispielsweise das Querschnittsthema Inklusive Bildung oder das Thema Alphabetisierung in der Berichterstattung Berücksichtigung finden. Der Bericht sollte zudem um die Möglichkeit erweitert werden, Handlungsempfehlungen an die politischen Akteure zu formulieren. Darüber hinaus müssen die Ergebnisse des Internationalen Bildungsberichts „Bildung auf einen Blick“ der OECD sowie das Monitoring der KMK und die nationalen wie internationalen Leistungsvergleiche mit den Erkenntnissen des Nationalen Bildungsberichts in Beziehung gesetzt werden. Nur so ergibt sich ein Gesamtblick auf das deutsche Bildungswesen.

Der uns vorliegende Nationale Bildungsbericht 2012 beschreibt Herausforderungen für das Bildungswesen, auf die die Menschen schlüssige Antworten erwarten. Der demografische Wandel und der stetig steigende Fachkräftebedarf führen dazu, dass es gesellschaftlich und auch wirtschaftlich dringend geboten ist, dass wir jedem eine faire Chance auf gute Bildung und Ausbildung geben. Der beruflichen Bildung kommt hier eine besondere Rolle zu: Sie bildet für viele junge Menschen die Brücke in die Erwerbsarbeit. Sie muss weiter gestärkt und als gleichwertiger Bildungsweg neben dem akademischen Weg erhalten bleiben.

Mit den richtigen Investitionen von Anfang an sind wir in der Lage, eine der größten Ungerechtigkeiten in unserem Land anzugehen: Schon zur Geburt sind für viele die Weichen gestellt, die Chancen ungleich verteilt. Einigen steht die Welt offen, oft unterstützt durch die Eltern. Andere gehen leer aus – das hängt allzu oft vom Bankkonto der Eltern ab. Fast 60 000 verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss. Inzwischen sind es 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die keinen Schulabschluss haben, häufig die Kinder ärmerer Familien. Über 300 000 junge Menschen stecken in Warteschleifen und finden keinen Ausbildungsplatz. Es ist beschämend, dass heute in Deutschland immer noch wie in keiner anderen Industrienation der Geldbeutel der Eltern über den Bildungserfolg der Kinder entscheidet.

Viele der Herausforderungen, die auch der Nationale Bildungsbericht beschreibt und herausstellt, werden nur gelingen, indem sich Bund, Länder und Kommunen auf die Eckpunkte einer nationalen Bildungsstrategie einigen. Wir wollen daher, dass Bund und Länder stärker zusammenarbeiten können, um unser Bildungssystem wieder modern zu machen. Die SPD hält deshalb an ihrer Forderung fest: Das Kooperationsverbot für Bildung im Grundgesetz ist nicht mehr zeitgemäß und muss abgeschafft werden.

Der Berichtsschwerpunkt lag 2012 im Nationalen Bildungsbericht in der kulturellen Bildung. Der Bericht stellt fest, dass über alle Altersgrenzen hinweg ein großes Interesse an kultureller und musisch-ästhetischer Bildung besteht. Dabei ist die Vielfalt und Fülle der Angebote an kultureller Bildung besonders wertvoll. Die Angebote beschränken sich nicht nur auf formale Bildungseinrichtungen, sondern umfassen auch ein breites Spektrum an nonformalen Angeboten wie Vereine, Chöre, Kultur- und Jugendeinrichtungen. Umso wichtiger ist es, die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Einrichtungen zu stärken, um Synergien zu schaffen und ein breites Spektrum aufrechtzuerhalten.

Damit die kulturelle Bildung den Raum erhält, der ihr zusteht, und für alle Kinder zugänglich ist, muss diese mehr Zeit in den Bildungseinrichtungen erhalten. Auch aus diesem Grund ist der Ausbau des Ganztagschulangebots in Deutschland eines der zentralen Projekte der nächsten Jahre. Deutschland braucht einen Masterplan Ganztagsschule, mit dem in einem ersten Schritt bis 2015 ein flächendeckendes und bedarfsgerechtes ganztägiges Angebot sichergestellt wird und mit dem in einem zweiten Schritt alle Schulen in Deutschland bis zum Jahr 2020 zu Ganztagsschulen weiterentwickelt werden. Unser Ziel ist, bis 2020 einen Rechtsanspruch auf Ganztagsschule für alle Schülerinnen und Schüler in allen Teilen des Landes zu realisieren.

Zum Schluss noch einige Anmerkungen zum Thema Inklusive Bildung, zu dem heute ebenfalls zwei Anträge vorliegen. Das in der UN-Behindertenrechtskonvention verankerte Menschenrecht auf inklusive Bildung – bisher bedauerlicherweise noch nicht Bestandteil des Nationalen Bildungsberichts – gehört ohne Zweifel zu den herausragenden nationalen Aufgaben im Bildungswesen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Es bietet neue Chancen für den Blick auf Individualität und individuelle Förderung für alle Menschen im Bildungswesen. Die SPD-Fraktion hat bereits im Juni einen Antrag zum Thema Inklusive Bildung beschlossen, der in den nächsten Wochen im Plenum des Bundestages beraten werden soll. Daher an dieser Stelle nur vier kurze Anmerkungen dazu:

Erstens: Inklusion ist eine Chance für die gesamte Gesellschaft. Sie bricht mit den überkommenen Prinzipien unseres Bildungswesens, insbesondere dem der Separation. Inklusiver Unterricht soll dazu führen, dass größere Lern- und Entwicklungsfortschritte erzielt werden, weil auf die Individualität der Schülerinnen und Schüler eingegangen wird.

Zweitens: Inklusion ist eine Herausforderung für alle Stufen und Etappen des Bildungswesens. Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Teilhabe und Bildung. Daher muss inklusive Bildung in Kindertageseirichtungen, Schulen, Berufsschulen und Betrieben, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen zur Normalität werden. Einstiege sind zu ermöglichen, Übergänge dürfen nicht weiter Selektionsstufen bleiben.

Drittens: Um inklusive Bildung in Deutschland verantwortungsvoll umzusetzen, müssen wir die Menschen starkmachen, die mit Inklusion befasst sind. Unser derzeitiges Bildungssystem ist für die große Aufgabe der Inklusion noch nicht ausreichend vorbereitet und hat großen Nachholbedarf bei der Qualifizierung des Lehrpersonals. Wir brauchen Profis für inklusive Bildung – die Menschen in den Bildungseinrichtungen, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter müssen auf den Umgang mit heterogenen Lerngruppen vorbereitet werden.

Viertens: Auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem müssen insbesondere die lokalen Netzwerke unterstützt werden. Es gilt, die verschiedenen Zuständigkeiten vor Ort besser aufeinander abzustimmen. Wir brauchen kommunale Inklusionspläne, in denen das Erreichen der staatlichen Ziele durch die Verantwortung der Akteure vor Ort und deren Kenntnisse der Probleme aus erster Hand bestimmt werden. Sie können so als Grundlage für die vernetzte Arbeit aller Beteiligten dienen.

Der Nationale Bildungsbericht hat uns viele herausragende Aufgaben aufgezeigt. Wir sollten uns von diesen Herausforderungen nicht abschrecken lassen, sondern mit Mut und Tatkraft vorausgehen.