Reisebericht von der zentralen Abgeordnetenreise nach Afghanistan

Auf Einladung des Verteidigungsministeriums fand vom 30.8. bis 1.9. eine zentrale Abgeordnetenreise in das Camp Marmal in Mazar-i Sharif in Afghanistan statt, an der ich neben neun weiteren Bundestagsabgeordneten teilgenommen habe. Bei dieser Reise konnten wir uns einen kleinen Überblick über die Anforderungen und Leistungen der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan machen.

Den Platz des Logistikbataillons 7 aus Unna hatten bereits dieNach-folger aus Bayern entsprechend dekoriert.

Im Dezember steht wie in jedem Jahr die Verlängerung des ISAF-Mandats für die Bundeswehr im Bundestag an. So bestand nun eine gute Gelegenheit, sich ein Bild im größten Feldlager der Bundeswehr über den Einsatz zu machen und mit Soldatinnen und Soldaten ins Gespräch zu kommen. Ursprünglich war bei der Reise auch geplant, dass die Abgeordneten die Soldatinnen und Soldaten aus den Bundeswehr-Standorten in ihren Wahlkreisen treffen konnten. Das war leider für die Soldatinnen und Soldaten des Logistikbataillons 7 aus der Glückauf-Kaserne in Unna und Kamen nicht mehr möglich, da diese mittlerweile wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind. Die Verschiebung des Termins der Abgeordnetenreise ergab sich hingegen aus den späten Sommerferien in NRW. Dennoch hatte ich beispielsweise die Gelegenheit die Instandsetzungs- und die Nachschubabteilung kennenzulernen, die im 25. deutschen ISAF-Kontingent vom Logistikbataillon 7 betrieben wurde.

Ehrenhain auf dem Campgelände

Innerhalb der kurzen Reise gab es ein sehr dichtes Programm mit vielen hoch interessanten Gesprächsterminen. Den Auftakt machte die Ehrung für die im Einsatz verstorbenen Soldatinnen und Soldaten auf dem Ehrenhain im Camp Marmal unter Begleitung eines Militärpfarrers. Dieser Besuch war sicher mehr als eine notwendige Geste. Er hat gleich zu Beginn die Dimension des Afghanistan-Einsatzes zurecht gerückt. Und er hat in der relativen Sicherheit des Camps noch einmal die Gefahr des Einsatzes und damit die Gefahr für Leib und Leben der Soldatinnen und Soldaten verdeutlicht.

Im Anschluss haben der Kommandeur für das Regionale ISAF-Kommando Nord-Afghanistan (RC North), der deutsche Brigadegeneral Markus Kneip, mit seiner Führungscrew und der Staatssekretär im Verteidigungsministerium Thomas Kossendey ein Update über die Lage im RC North gegeben. Neben dem Überblick über die Aufgaben der Bundeswehr wurde dabei auch ausführlich die Einschätzung zur Sicherheitslage in Nord-Afghanistan diskutiert. In den nächsten Monaten wird es entscheidend darauf ankommen, den Aufbau und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte in Armee und Polizei zu stärken und die Räume, in denen die Verantwortung für die Sicherheit auf die Afghanen übertragen wurde, gegen die Aufständigen zu sichern, deren Ziel es ist, das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen zu zerstören. Der Prozess der Übergabe von Verantwortung (Transition) war ein wichtiges Thema für die Abgeordneten. Denn schon im September stehen die nächsten Berichte über weitere „übergabefähige“ Regionen an. Vom nachhaltigen Erfolg dieses Prozesses wird es abhängig sein, inwieweit man verantwortlich weitere Truppen aus Afghanistan abziehen kann. Man muss aber auch einwenden, dass die Transition nicht allein sicherheitspolitisch definiert werden darf. Es muss auch um nachhaltige Fortschritte in der Entwicklung des Landes geben, damit die Afghanen auch irgendwann aus eigener wirtschaftlicher Kraft arbeiten können.

Besichtigung des Bergetrupps

Den nächsten Programmpunkt bildete der Besuch des Logistikbataillons, das aus einem Instandsetzungsteil, in dem defekte Fahrzeuge und andere Geräte instandgesetzt werden, und einem Nachschubteil besteht, der für die gesamte Versorgung mit Gütern innerhalb des Camps zuständig ist und u.a. auch die Feldpost transportiert und versendet. Das ist der Ort, an dem auch die Soldatinnen und Soldaten aus der Glückauf-Kaserne und damit aus meinem Wahlkreis Dienst getan haben. Nebenbei bemerkt waren für sie die klimatischen Bedingungen mit Temperaturen am Tag über 40 Grad deutlich anders als für ihre Nachfolger aus Bayern, die zwar während unseres Besuchs angenehme Temperaturen hatten, aber

Instandsetzungsmeile (im Hintergrund das Marmal-Gebirge)

schon bald das Camp für den strengen Winter sichern müssen. Bei diesem Besuch konnte ich eine ähnliche Formation wiedersehen, die ich auch schon bei den Vorbereitungen des Logistikbataillons auf dem Übungsplatz in Augustdorf gesehen hatte. Hierbei handelt es sich um einen Bergetrupp, der liegengebliebene oder verunfallte Fahrzeuge bergen und abtransportieren muss. Dabei übernehmen übrigens die Soldatinnen und Soldaten des Logistikbataillons selbst die Sicherung gegen mögliche Gefahren, was die Einsätze zu recht komplexen Angelegenheiten werden lässt.

 

Einen wichtigen Aspekt bildete die gesamte medizinische Versorgung im und durch das Camp Marmal. Unter deutscher Führung arbeitet ein multinationales und multiprofessionelles Team in einem nach meinem Eindruck hoch modernen Krankenhaus. Hier werden vorrangig die ISAF-Soldatinnen und Soldaten behandelt. Je nach Kapazität werden auch afghanische Sicherheitskräfte und Zivilisten behandelt. So wurde u.a. während unseres Aufenthalts ein afghanischer Säugling, der eine schwere Kopfverletzung erlitten hat, in dem Haus behandelt, bis er so weit stabilisiert ist, dass ein Krankenhaus in Mazar-i Sharif die Versorgung und Heilung übernehmen kann. Allerdings erfüllt das Krankenhaus, wie auch die medizinischen Stationen in den anderen Camps der Bundeswehr im Norden Afghanistans eine spezifische Funktion. Denn die chirurgische Erstversorgung findet immer in dem Krankenhaus statt, das einem Unfallort am nächsten liegt. In Mazar-i Sharif kann eine weitere, komplexere Behandlung erfolgen. Neun medizinische Fachrichtungen sind dort vertreten. Allerdings verbleiben die verwundeten Soldatinnen und Soldaten dort nicht immer bis zur vollständigen Genesung, weshalb das Haus auch relativ wenige Betten hat. Die meisten Schwerverletzten werden mit spezialisierten Hubschraubern oder Flugzeugen nach Termez in Usbekistan ausgeflogen, wo sie dann nach Deutschland weiter fliegen. Die hoch spezialisierten Medevac-Transporte sind eine besondere Fähigkeit, die die Bundeswehr im ISAF-Verbund einbringt. U.a. diese fliegenden Intensivstationen konnten wir bei einer Stippvisite beim Einsatzgeschwader der Luftwaffe in Masar-i Sharif besichtigen.

Lagerstrasse im Camp Marmal

Dieser Bereich ist auch ein Schwerpunkt der Zusammenarbeit von deutschen und amerikanischen Streitkräften auf dem Camp, wie wir bei einem Besuch der 1. Air Cavalry Brigade der US Army erfuhren. Dort wurde der Wert der Zusammenarbeit mit den Deutschen betont. In der Diskussion wurde auch intensiv die Gestaltung des amerikanischen Abzugs aus Afghanistan erörtert. Bis Ende 2012 wollen die USA 33.000 Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan abziehen (zum Vergleich: das deutsche ISAF-Kontingent umfasst derzeit ca. 5.000 Soldatinnen und Soldaten). Aufgrund der internationalen Arbeitsteilung in den ISAF-Truppen ist es von großer Bedeutung, dass über die Gestaltung des Abzugs auch miteinander gesprochen wird, weil vom Abzug der Amerikaner auch der Abzug der Bundeswehr, dessen Beginn wir im Mandat für Ende diesen Jahres angepeilt haben, abhängig ist.

Rückflug mit der Transall nach Termez (UZB)

Bei meinem Besuch kam leider die zivile Seite des Afghanistan-Mandates etwas kurz, was Grund für eine weitere Reise wäre, aber zumindest für das Gespräch mit den Akteuren in Deutschland. Auswärtiges Amt, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und Bundespolizei berichteten dennoch im Rahmen des Aufenthalts über ihre Aktivitäten. Während es für das Auswärtige Amt eher um die Frage geht, wie staatliche afghanische Institutionen im Land gestärkt werden und eine demokratische Kultur, die mit unserer bei weitem nicht vergleichbar sein wird, entwickelt werden kann, kümmern sich die Entwicklungshilfeorganisationen in einem der am geringsten entwickelten Länder der Erde um nachhaltige Projekte, die den Afghanen zu eigener wirtschaftlicher Stärke verhelfen sollen. Dabei ist es wichtig, dass diese Arbeit auch nach 2014 fortgesetzt wird und die Federführung bei diesen Projekten bei den Afghanen liegt. Es seien zwar schon merkliche Erfolge erzielt worden, aber ein langfristiges Engagement ist auch nach Abzug der ISAF-Truppen nötig.

Der Reisebericht müsste eigentlich noch länger sein. Viel mehr Eindrücke aber auch offenen Fragen müssten besprochen werden. Dies werde ich sicher in der SPD-Fraktion und bei den Gesprächen im Wahlkreis noch einmal aufgreifen. Einige wenige Schlussfolgerungen sollen aber auch schon hier und unmittelbar nach Abschluss der Reise angerissen werden:

  1. Zunächst muss man einschränken, dass der Besuch zwar einen für mich intensiven Eindruck geboten hat, aber bei weitem nicht das gesamte Spektrum des Einsatzes und damit der Arbeit der Soldatinnen und Soldaten sowie der zivilen Organisationen abbilden konnte. Die relative Sicherheit im Camp Marmal darf nicht darüber hinweg täuschen, dass es in Kunduz und anderen Regionen erheblich gefährlicher ist und dass die Soldatinnen und Soldaten bei jedem Weg aus dem Camp heraus einer erheblichen Gefahr ausgesetzt sind, die ja auch zu schweren Schäden führen können. Von der militärischen Gefahr konnte man nur wenig konkret erfahren und wenn man ehrlich ist, kann das zumindest aus meiner Sicht auch nicht der Sinn einer solchen Delegationsreise sein. Denn der Sicherheitsaufwand wäre immens.
  2. Ich habe nur eine Seite des Auftrags in Afghanistan gesehen. Vielleicht war das für mich, der ich ja selbst nicht bei der Bundeswehr war, auch ganz hilfreich, um einen besseren Einblick zu bekommen. Aber zur Arbeit in Afghanistan gehört auch und vor allem der zivile Wiederaufbau, den die ISAF-Truppen absichern. Transition muss aus meiner Sicht neben den Sicherheitsaspekten eben auch die Perspektiven der Entwicklung beinhalten.
  3. Trotz dieser beiden Einschränkungen ist mein Respekt vor der Arbeit der Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Kräfte noch einmal gewachsen. Ich habe zumindest eine Ahnung von der Schwere der Aufgabe und den Gefahren bekommen. Natürlich gilt allen, die sich persönlich in Afghanistan engagieren der Dank und der Respekt der Politik. In diesen Tagen wird viel über die Anschläge vom 11. September berichtet werden. Das ist auch richtig so. Vielleicht weckt das auch die Erinnerung, dass die UNO in der Resolution 1386 (2001) aufgrund dieser damaligen Ereignisse die Legitimation für das ISAF-Mandat geschaffen hat. Und vielleicht weckt das auch die Erinnerung daran, dass es in Afghanistan um Freiheit weit über Afghanistan hinaus geht.
  4. Bei den nächsten Mandatierungen durch den Bundestag ist neben den grundsätzlichen und immer wieder zu erwägenden Überlegungen zum ISAF-Mandat der internationale Kontext stärker zu beachten. Im Rahmen des Mandats arbeiten die Länder vernetzt miteinander. Jedes Land bringt seine Stärken ein. Deshalb muss der Übergabeprozess (Transition) und die weitere Perspektive des Abzugskorridors der internationalen Truppen international betrachtet werden. Eine Nation schaut darauf, was die andere tut. Die USA haben mit ihrem Abzugskorridor, den die SPD übrigens seit zwei Jahren auch für die Bundeswehr einfordert, wenn auch in anderer Form, einen Rahmen vorgegeben, da sie die größten Truppensteller sind. Das hat Auswirkungen auf die anderen Nationen und damit auch auf den Prozess in Afghanistan.