Eine neue Chance für Belarus!? Oliver Kaczmarek zu 25 Jahren diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Belarus

Vor 25 Jahren nahm die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen mit der Republik Belarus auf. Enge zivilgesellschaftliche Beziehungen charakterisieren das Verhältnis ebenso wie historische Verflechtungen. Gleichzeitig stehen die Vollstreckung der Todesstrafe, Defizite bei der Durchführung von Wahlen und Einschränkungen bei der Meinungs- und Versammlungsfreiheit trennend zwischen beiden Ländern.

Und doch hat Belarus in den letzten zwei Jahren neue Schlagzeilen gemacht. In die Beziehungen zwischen der EU und Belarus ist Bewegung gekommen. Seine Mittlerrolle im Ukraine-Konflikt hat Belarus, dessen engster wirtschaftlicher, kultureller und politischer Partner Russland ist, und seiner politischen Führung Aufmerksamkeit und nicht selten Anerkennung gebracht. Infolge der Ukraine-Krise hat Belarus seine staatliche Eigenständigkeit stark betont, was der Führung viel Unterstützung in der eigenen Bevölkerung bescherte. Der außenpolitische Durchbruch blieb zwar noch aus, aber Belarus zeigte sich bereit zur Wiederaufnahme des Modernisierungsdialogs mit der EU und beteiligte im Rahmen des Menschenrechtsdialogs erstmals die Zivilgesellschaft. Das waren ohne Zweifel Schritte in die richtige Richtung.

Mit der Freilassung der politischen Gefangenen Ende 2015 räumte das Regime eine der ganz großen Hürden für die Wiederannäherung an die EU beiseite. Sie war Grundvoraussetzung für weitere Schritte – auch seitens des Deutschen Bundestags. In der Folge suspendierte die EU mit Zustimmung der Bundesregierung zunächst die Sanktionen gegen Belarus und setzte sie im Februar 2016 bis auf wenige Ausnahmen aus. Zuletzt überzeugten die Präsidentschaftswahlen 2015 und die Parlamentswahl 2016 die internationalen Beobachter zwar nicht, aber Fortschritte wurden durchaus konstatiert. Vor allem verliefen die Wahlen gewaltfrei.

Manch einem mag das mühsam vorkommen, weil die Fortschritte übersichtlich erscheinen. Aber dennoch reichen sie aus, um zu fragen, wie die EU und insbesondere Deutschland, das große Aufmerksamkeit in Belarus genießt, auf diese Veränderungen reagiert. Nicht selten sind deswegen Bedingungen für die Verbesserung der Beziehungen formuliert worden.

Nachdem sich der deutsche und der belarussische Außenminister zu bilateralen Gesprächen am Rande internationaler Konferenzen trafen, war die deutsch-belarussische Parlamentariergruppe im Oktober 2016 zu einer Delegationsreise in Minsk, um dort Gespräche sowohl mit Vertretern der Zivilgesellschaft als auch der Regierung und des Parlaments zu führen. Dies war ein großer Schritt. Noch 2011 wurde der damaligen Vorsitzenden der Parlamentariergruppe Uta Zapf die Einreise nach Belarus verweigert, als sie den Prozess gegen den sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidaten Nikolai Statkevich beobachten wollte. Besondere Beachtung fand deshalb das Treffen mit Vertretern des Repräsentantenhauses und des Vorsitzenden des Rates der Republik Michail Mjasnikowitsch. Gespräche zwischen Parlamentariern waren der belarussischen Seite lange ein besonderes Anliegen. Trotz der Kritik der demokratischen Opposition in Belarus, hat die Parlamentariergruppe diesen Besuch durchgeführt, da angesichts der Fortschritte nicht zu erklären war, warum der Dialog mit Belarus im Vergleich zu anderen autoritär regierten Staaten immer noch eine besondere Handhabung erfahren soll. Das schloss Kritik ein, insbesondere an der Vollstreckung der Todesstrafe, die nach wie vor die entscheidende Hürde zur Vollmitgliedschaft im Europarat ist. Die deutschen Parlamentarier trugen die Hoffnung, dass mit dem Besuch ein neuer Raum für konstruktiven Dialog eröffnet werden kann, der Belarus dazu ermutigt, seine gewonnene Souveränität weiter zu nutzen – auch im Verhältnis zu Deutschland.

Zum Jubiläum der diplomatischen Beziehungen unternahm die Bundesrepublik Deutschland einen weiteren Schritt, um den Dialog zwischen beiden Ländern auszubauen. Mit dem Besuch von Staatsminister Roth, den der Verfasser als Vorsitzender der deutsch-belarussischen Parlamentariergruppe begleitet hat, war die Bundesregierung in Minsk zu diesem feierlichen Anlass hochrangig vertreten sein. Neben Gesprächen mit dem Außenminister Makei, der Zivilgesellschaft, Studierenden und den oppositionellen Abgeordneten, hatte die Eröffnung der Ausstellung zum NS-Vernichtungsort Malyj Trostenez einen besonderen Stellenwert. Die zivilgesellschaftlichen Kontakte zwischen Deutschland und Belarus waren stets das Rückgrat der Beziehungen. Es ist daher besonders erfreulich, dass Experten aus Belarus, Deutschland, Tschechien und Österreich beim sensiblen Thema der Vergangenheitsbewältigung der NS-Verbrechen einen gemeinsamen Weg erfolgreich beschreiten konnten. Aus der Vergangenheit erwächst eine Verantwortung für die Zukunft. Es wäre erfreulich, wenn die gemeinsame Ausstellung den Weg der weiteren Annährung ebnet.

Derzeit überschatten beunruhigende Nachrichten aus Belarus die Gespräche. Der Protest gegen das Dekret Nummer 3 des Präsidenten, das eine Sondersteuer von umgerechnet 200 Euro für Arbeitslose vorsieht, flammt in Minsk und vor allem in der Provinz seitens des gesamten oppositionellen Spektrums auf. Das Regime reagiert mit Verhaftungen. Menschenrechtsorganisationen gehen von bis zu 200 Verhaftungen mit mehrwöchigen Haftstrafen aus. Die EU bekräftigte daraufhin die Wichtigkeit der Demokratisierung in Belarus und fordert die Beachtung der Menschenrechte ein. Die belarussische Regierung gibt mit ihrem harschen Vorgehen denen Recht, die stets davor gewarnt haben, dass eine Annäherung wie 2010 durch Aktionen gegen die demokratische Opposition konterkariert werden könnte. Wichtig ist jetzt, dass die Regierung besonnen und tolerant auf demokratischen Protest reagiert. Das Dekret Nummer 3 ist mittlerweile außer Kraft gesetzt und soll überarbeitet werden. Das ist ein richtiges Signal, aber womöglich geht es gar nicht nur um dieses eine Dekret, sondern vor allem darum, welche Form der dialogorientierten politischen Auseinandersetzung Belarus entwickelt und wie der Staat mit demokratischem Protest umgeht. Verhaftungen in größerem Umfang stützen nicht das mühsam aufgebaute Vertrauen, sondern nähren Misstrauen in die Ernsthaftigkeit des bisherigen Prozesses. Daran sollte weder Belarus noch Deutschland ein Interesse haben.

Belarus steht (wieder einmal) an einer Weiche seiner zukünftigen Entwicklung. Es gehört zur politischen Redlichkeit, die Fortschritte nicht nur zu benennen, sondern auch anzuerkennen und Zug um Zug an Verbesserungen zu arbeiten. Die deutsch-belarussische Parlamentariergruppe bleibt dabei ein aktiver Teil der deutschen Außenpolitik. Bei allem, was man heute sagen kann und bei aller gebotenen Vorsicht über die Stabilität des gewählten Weges: Belarus hat eine neue Chance verdient, wenn es den Weg der vergangenen beiden Jahre konsequent weiter verfolgt.