Rede: Einfache Sprache in Deutschland fördern

Am 18. April 2013 hat Oliver Kaczmarek eine Rede zu Tagesordnungspunkt 21 der 234. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages gehalten. Dabei ging es um den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion “Zugänge schaffen und Teilhabe erleichtern – Die Einfache Sprache in Deutschland fördern”:

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die UN-Weltdekade der Alphabetisierung ist gerade zu Ende gegangen – doch das Thema Analphabetismus ist auch in Deutschland noch lange nicht vom Tisch. Wir haben im Bundestag wiederholt über die 7,5 Millionen Menschen in Deutschland, die nicht richtig lesen oder schreiben können, debattiert. Doch dem nicht genug: neben diesen 7,5 Millionen so genannten funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten können zusätzlich 13,3 Millionen Menschen in Deutschland Bücher, Zeitungen, Gebrauchsanweisungen oder Behördenstücke nur langsam und fehlerhaft lesen und verstehen.

Diese Gruppe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche ist in unserer Gesellschaft stark benachteiligt. Fahrpläne, Handyverträge, Banküberweisungen, schriftliche Arbeitsanweisungen, Beipackzettel für Medikamente, Zeitungen, Bücher oder gar Behördenbriefe und Antragsformulare sind unüberwindbare Hindernisse für die Betroffenen. Dabei machen die Zahlen auch deutlich, dass Lese- und Schreibschwäche in Deutschland die gesamte Gesellschaft durchdringt – viele arbeiten als Bauhilfsarbeiter, Reinigungskräfte, Transport- und Frachtarbeiter, Köche, Maler oder Verkäufer, um nur einige Beispiele zu nennen. Sie dürfen bildungspolitisch nicht außer Acht gelassen werden. Gerade angesichts der Reduzierung einfacher Tätigkeiten im Berufsleben europaweit von 31 Prozent in 1996 auf 18 Prozent in 2020 stellt der Ausschluss von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche aus dem Erwerbsleben ein großes Problem dar. Richtig schreiben und Sinn entnehmend lesen zu können, sind aber auch Voraussetzungen, um umfassend an Demokratie teilhaben zu können, und somit auch insgesamt von gesellschaftlichem Interesse.

Eine Möglichkeit, Menschen mit Lese- und Schreibschwäche zu erreichen, ist ihnen Informationen und Materialien in „Einfacher Sprache“ anzubieten. Einerseits verlieren sie durch niedrigschwellige Leseangebote die Scheu vor dem Lesen. Andererseits wächst durch Lesematerialien mit passendem Sprachniveau ihr Selbstvertrauen, ihre Lesefähigkeit steigt und es entsteht eine positive Lernspirale. Es geht also nicht darum, das Lese- und Schreibniveau generell abzusenken. Vielmehr steht dahinter die Absicht, diese Zielgruppe durch entsprechende Angebot überhaupt zu erreichen und dann an ein höheres Niveau heranzuführen. Nur so kann eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe für diese immerhin 20,8 Millionen Erwachsenen in Deutschland sichergestellt werden.

Der Bund hat zwar in Reaktion auf die Ergebnisse der leo.-Studie zusammen mit der Kultusministerkonferenz Ende 2011 eine „Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener in Deutschland“ ins Leben gerufen. Mehr als eine gute Absicht kann man der Bundesregierung hier aber nicht zugute halten. Es gibt positive Bestrebungen und Ansätze, so bietet beispielsweise der Deutsche Bundestag neben der regulären Homepage Information über die Tätigkeit des Parlaments in „Leichter Sprache“ für Menschen mit Behinderung an. Auch unsere Fraktion hat diverse parlamentarische Initiativen und Informationen in „Leichte Sprache“ und „Einfache Sprache“ übersetzt. Doch diese Ansätze gilt es dringend auszubauen. Dazu müssen die bisherigen Maßnahmen zur Vermittlung von Inhalten in „Einfacher“ und „Leichter Sprache“ im Internetangebot des Bundestages erweitert werden. Auch fordern wir die Bundesregierung auf, unzureichende Lese- und Schreibkompetenz und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Implikationen in ihren Forschungsprogrammen zu verankern und das Instrument der „Einfachen Sprache“ etwa in Form von Zeitungen, Büchern oder digitalen Angeboten weiter zu entwickeln und zu fördern. Darüber hinaus muss die zusätzliche Anwendung der „Einfachen Sprache“ in staatlichen Stellen verbindlich werden, und es sind Maßnahmen notwendig, um die politische Partizipation von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche und Behinderung zu erhöhen, beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung.

In anderen Ländern, wie etwa in den Niederlanden oder Schweden, wird die „Einfache Sprache“ neben der „Leichten Sprache“ bereits seit Längerem – als Teil einer Gesamtstrategie zur Erhöhung der allgemeinen Lese- und Schreibkompetenz – gezielt gefördert. Demgegenüber stehen wir in Deutschland erst ganz am Anfang. Wir brauchen eine umfassend angelegte Strategie, die konkrete Maßnahmen aufgreift und die Kooperation der Akteure stärkt. Angebote in „Einfacher Sprache“ können Zugänge schaffen und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche ermöglichen. Nutzen wir diese Chance!

Vielen Dank.

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Den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion finden Sie unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/127/1712724.pdf