Rede: Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für Alle

Am 18. April 2013 hat Oliver Kaczmarek eine Rede zu Tagesordnungspunkt 19 der 234. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages gehalten. Dabei ging es um den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion “Teilhabe ermöglichen – Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für Alle intensivieren”:

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Konzept der Inklusion, der Teilhabe behinderter Menschen, wird mehr und mehr öffentlich debattiert. Das ist sehr erfreulich. Jedoch bleibt noch viel zu tun, bis Inklusion tatsächlich in der Mitte unserer Gesellschaft verankert und tägliche Lebensrealität und somit Normalität sein wird.

Inklusion bedeutet nicht nur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in bestimmten, sondern eben in allen Lebensbereichen. Dafür braucht es Barrierefreiheit. Dieser Begriff lässt zunächst an Rampen für Rollstuhlnutzer in Behörden oder Museen denken. Auch barrierefreies Internet rückt immer mehr in den Blickpunkt. Den wenigsten Menschen, die nicht täglich durch spezifische Einschränkungen damit konfrontiert werden, ist jedoch bewusst, welch kleine und alltägliche scheinbare Details Menschen in ihrem Leben einschränken können. Barrierefreiheit muss tatsächlich bedeuten, dass sie jeden Lebensbereich umfasst und darf nicht an vermeintlichen Kleinigkeiten scheitern.

Für eine solche umfassende Barrierefreiheit brauchen wir Produkte, die so konzipiert sind, dass sie von jedem genutzt werden können. Einige wenige Produkte gibt es bereits. Sie sind nach dem Konzept des Designs für Alle entstanden. Design für Alle bedeutet die Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen, Umfeldern und Programmen mit dem Ziel, dass diese von allen Menschen möglichst weitgehend ohne eine Anpassung genutzt werden können. Die Gestaltung erfolgt anhand der sieben Prinzipien breite Nutzbarkeit, Flexibilität in der Benutzung, einfache und intuitive Benutzung, sensorisch wahrnehmbare Informationen, Fehlertoleranz, niedriger körperlicher Aufwand sowie Größe und Platz für Zugang und Nutzung. Lassen Sie mich an dieser Stelle zur Veranschaulichung einige Beispiele nennen:

  • Das Unternehmen WMF hat eine kleine Kaffeepadmaschine konzipiert, die gut zu transportieren und sehr benutzerfreundlich ist. Die Maschine hat nur eine einzige große Taste, sie ist für eine Tasse ausgelegt und der Tank fasst genau soviel Wasser, wie für diese eine Tasse benötigt wird.
  • Das Unternehmen Edeka hat mit seinem Supermarkt der Generationen ein kundenfreundliches Konzept für alle Verbraucher entworfen, das sich unter anderem auszeichnet durch Verbreitung der Gänge und Kassenzonen, Absenkung der Regalhöhen, bessere Be- und Ausleuchtung, Einrichtung von Ruhezonen, Leselupen an den Regalen, sprechende Waagen, spezifische Schulungen des Personals, Serviceknöpfe, Leitleisten für Blindenstöcke, Beschriftung der Regale in Blindenschrift und vielem mehr.
  • Das Unternehmen Joseph Vögele hat einen Asphaltfertiger entwickelt, eine Maschine, mit der sich ungebundene und gebundene Schichten wie zum Beispiel Sand, Schotter, Asphalt und Beton herstellen lassen. Dieser zeichnet sich insbesondere durch einen ergonomisch gestalteten, bequem auf den jeweiligen Fahrer einzurichtenden Bedienstand und moderne, intuitive Bedienkonsolen aus. Die Tasten können blind erfühlt werden.

Design für Alle gewinnt in dieser Hinsicht vor dem Hintergrund des demographischen Wandels der Gesellschaft besondere Bedeutung. Die Menschen werden immer älter und mit dem Alter kommen zumeist körperliche Einschränkungen. Design für Alle verhindert, dass diese Einschränkungen zu einer Barriere im Alltag werden, die Teilhabe verhindert.

Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert unter der Bezeichnung Universelles Design die Umsetzung genau solcher Lösungen, die eigentlich zum Nutzen aller selbstverständlich sein sollten. Die Bundesregierung hat diese Forderung auch brav in ihren Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention übernommen, wenn auch nur für wenige Teilbereiche. Aber es reicht nun einmal nicht aus, etwas schriftlich zu fixieren. Seitdem ist nichts passiert. Wann soll denn Design für Alle in Deutschland umfassend umgesetzt werden? Und vor allem: Wie soll es umgesetzt werden? Die schlichte Wahrheit ist: Schwarz-Gelb hat entgegen ihrer Ankündigungen im Nationalen Aktionsplan nicht vor, in diesem Bereich tätig zu werden.

Machen wir uns dennoch nichts vor: Selbst bei der bestmöglichen und umfassendsten Umsetzung des Designs für Alle wird es immer ganz spezifische Einschränkungen und Behinderungen geben, die sich dadurch nicht ausgleichen lassen. Wir benötigen also Technologien, die helfen, diese Einschränkungen zu kompensieren. Technologien, die ungeachtet von Behinderungen den Betroffenen bei ihrer Arbeitsausübung, aber auch im täglichen Leben Eigenständigkeit ermöglichen. Solche Technologien sind beispielsweise baulich integrierte Induktionsanlagen für Hörgeräte oder aktivierende und kraftunterstützende Bewegungshilfen.

Obwohl es schon lange gefordert und sogar von unserer Bundesregierung großspurig angekündigt wird, stehen wir bei Technologien und Design für Alle noch ganz am Anfang. Forschung und Entwicklung in diesem Bereich findet in Deutschland zum Großteil in der Wirtschaft statt, und das auch nur in einigen wenigen Unternehmen. Das darf nicht länger so bleiben. Gutachten zeigen, dass Unternehmen, die das Konzept Design für Alle konsequent umsetzen, damit wirtschaftlich überaus erfolgreich sind. Diese Best-Practice-Beispiele müssen Ansporn und Ermutigung sein für alle Unternehmen in Deutschland.

Wir fordern deshalb einen strukturierten und nachhaltigen Forschungsansatz. Deutschland braucht eine nationale Strategie zur Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für Alle. Diese muss Teil eines neuen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK werden. Gezielte Förderung und Intensivierung dieser Forschung können wir durch die Einrichtung einer öffentlich geförderten Agentur, die alle Forschungsansätze zusammenführt, und durch die Etablierung einer eigenen Förderlinie erreichen. Für umfassende Barrierefreiheit im Internet muss die Verpflichtung der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nicht nur auf weitere behördliche Internetseiten ausgeweitet werden. Das Konzept des Designs für Alle muss zudem als Querschnittsaufgabe in allen Bundesministerien verankert werden. Besonders wichtig ist auch die Verankerung des Konzeptes Technologien und Design für Alle in der Ausbildung sämtlicher relevanter Berufsfelder.

Inklusion in Deutschland ist machbar! Unsere Gesellschaft braucht Inklusion – zum Nutzen aller! Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam vorangehen!

Vielen Dank.

__________________Den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion finden Sie unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/130/1713085.pdf