Ein neues Bildungsversprechen

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Dieser Artikel von Oliver Kaczmarek, Sprecher für Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion, ist in „Der Tagesspiegel“ am 5. April 2018 erschienen.

Aufstieg durch Bildung war das zentrale Versprechen der Bildungsexpansion des vergangenen Jahrhunderts. Unsere Gesellschaft ist weit gekommen und hat vielen Menschen Chancen eröffnet, von denen ihre Eltern nicht zu träumen wagten. Deswegen sagen heute einige, das Aufstiegsversprechen habe sich erledigt. Unsere Gesellschaft hat sich gewandelt und die Grenzen zwischen den gesellschaftlichen Schichten verlaufen nicht mehr an früheren Linien. Dennoch ist die soziale Selektivität unseres Bildungssystems immer noch unter den höchsten der OECD-Staaten. Der Wandel schlägt sich mehr in Erwartungen und individuellen Ansprüchen an Bildung nieder.

Einerseits gibt es noch den klassischen Wunsch nach sozialem Aufstieg. Familien mit geringem Einkommen setzen viel daran, dass ihre Kinder eine gute Bildung erfahren. Dennoch beginnen von 100 Arbeiterkindern nur 23 ein Studium, von 100 Akademikerkindern dagegen 77. Andererseits manifestiert sich in der Mitte der Gesellschaft immer stärker der Wunsch nach individueller Freiheit. Bildung sichert hier die Verwirklichung persönlicher Wünsche und das Streben nach Autonomie. Angesichts dieser Modernisierung müssen wir uns fragen: Welches Versprechen soll Bildung für die Zukunft abgeben und welche Bedingungen sind dafür politisch zu schaffen?

Individualisierung prägt unsere Gesellschaft durch unterschiedliche Lebensentwürfe heute stärker. Der Spannungsbogen reicht von fortschrittsbegeisterten Digitalisierungsbefürwortern über die bewahrende Mitte bis zu denen, die sich von der Entwicklung abgehängt fühlen. Um der Vielfalt zu entsprechen, gilt es ein neues Bildungsversprechen abzugeben, das erstens die Ungerechtigkeiten im Bildungssystem adressiert und weiterhin individuelle Teilhabe und gesellschaftlichen Aufstieg ermöglicht, das zweitens Menschen befähigt bei technologischem und gesellschaftlichem Wandel einen eigenen Lebensentwurf selbstbestimmt zu verwirklichen, das drittens immer wieder neue Chancen eröffnet und so individuelleren Bildungs- und Arbeitsbiographien Rechnung trägt, und das sich viertens zu einem hohen Qualitätsanspruch für Bildung bekennt.

Im Bundestagswahlkampf war Bildung zwar ein großes Thema, jedoch wurden Details einzelner Instrumente stärker diskutiert als unterschiedliche Grundsätze. So blieb der Gegensatz zwischen einer solidarischen und modernen Bildungspolitik und einer solchen, die gesellschaftliche Verhältnisse im Wesentlichen unangetastet lässt und individuelle Ansprüche ausblendet, unausgesprochen. Diesen Unterschied muss die SPD viel deutlicher machen.

Ein neues Bildungsversprechen muss sich an aktuellen Herausforderungen messen lassen. Erstens müssen wir mehr Offenheit im Bildungswesen ermöglichen und die Zäune insbesondere um unsere Hochschulen einreißen. Für eine echte Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung muss es mehr Chancen geben, die Vorteile von beidem zu verbinden. Wer heute ein gutes und sicheres Einkommen anstrebt, muss nicht zwingend studieren, aber jeder sollte die Chance haben individuelle Bildungswege mit akademischen Inhalten zu wählen. Die Zugänge zu Bildungsangeboten müssen ein Leben lang offen sein.

Zweitens brauchen wir moderne Lernorte, die es ermöglichen das Potential bestmöglich zu entfalten. Moderne Lehrkonzepte mit Gruppenarbeit, Lerninseln und digitalen Medien setzen voraus, dass sich unsere Bildungsstätten und besonders Schulen und Hochschulen räumlich ändern. Sanierung, Modernisierung und Digitalisierung gehen Hand in Hand. Der technologische Wandel muss sich so niederschlagen, dass Lernende ihr Leben unter geänderten Rahmenbedingungen selbstbestimmt gestalten können.

Drittens braucht unser Bildungssystem eine Kultur der Chancen. An jeder Schnittstelle müssen sich neue Wege öffnen, das Leben zu verbessern. Damit Übergänge nicht zu Brüchen werden, müssen Hürden schrittweise abgebaut werden. Wir brauchen Gebührenfreiheit in der Bildung, eine Ausbildungsgarantie bei der wir alles daran setzen, Jugendlichen im ganzen Land einen guten Start in den Beruf zu geben und wir brauchen eine deutliche Verbesserung bei BAföG und Meister-BAföG, um lebensbegleitendes Lernen finanziell zu ermöglichen.

Viertens brauchen wir für beste Bildung das beste pädagogische Personal. Wir brauchen eine Offensive für bessere Arbeitsbedingungen sowie moderne Aus- und Fortbildung. Die Qualität der Lehre muss Ergebnis guter Bildungspolitik sein und zugleich ihr Ausgangspunkt. Wertschätzung für pädagogische Berufe muss im Alltag erfahrbar werden.

Verbunden mit hohem Qualitäts- und Leistungsanspruch sollte die beste Bildungspolitik ein neues Versprechen beinhalten: Alle können gleichberechtigt und selbstbestimmt an unserer Gesellschaft teilhaben. Mit Bildung eröffnen wir den Menschen immer wieder neue Chancen, sich ohne Hürden und Barrieren persönlich weiterzuentwickeln und gesellschaftlich aufzusteigen.