Rede: Das Menschenrecht auf inklusive Bildung in Deutschland endlich verwirklichen
Am 27. Juni 2013 hat Oliver Kaczmarek eine Rede zu Tagesordnungspunkt 40 der 250. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages gehalten. Dabei ging es um den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion “Das Menschenrecht auf inklusive Bildung in Deutschland endlich verwirklichen”:
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention ist derzeit eine der meistdiskutierten und größten Herausforderungen im Bildungswesen. Sie umfasst alle Bereiche des Bildungswesens und alle Etappen einer Bildungsbiografie. Die Umsetzung ist daher eine Herausforderung für alle Akteure im Bildungswesen, für Lehrende und Lernende, für Politik wie Verwaltung. Dieser Prozess ist aber bei Menschen mit Behinderungen, bei Eltern von Kindern mit und ohne Behinderung, bei Lehrern und Sozialpädagogen mitunter auch mit Sorgen und Ängsten verbunden.
Diesen Sorgen und Ängsten muss Achtung geschenkt werden, sie müssen ernst genommen werden. Das hat die SPD-Bundestagsfraktion in den vergangenen Jahren bereits getan. Nach dem Prinzip „Nichts über uns ohne uns“ haben wir gemeinsam mit Experten aus Verbänden, Selbsthilfeorganisationen sowie Betroffenen Antworten auf die dringenden Fragen des „Wie“ zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gesucht. Die Antworten fielen deutlich aus: Der Herausforderung, vor die uns die Verwirklichung des Menschenrechts auf inklusive Bildung in Deutschland stellt, muss mit einer gemeinsamen Strategie begegnet werden. Bund, Länder und Kommunen stehen gleichermaßen in der Verantwortung. Auch der Deutsche Bundestag hat sich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet. Es gilt folglich, über die Bund-Länder-Kooperation nachzudenken, sie neu zu justieren und im Grundgesetz die Voraussetzung für gemeinschaftliche und übergreifende Aufgabenerledigung im Bereich der inklusiven Bildung zu schaffen. Es ist auch vor diesem Hintergrund unverständlich, warum sich die schwarz-gelbe Bundesregierung ihrer Verantwortung für eine gelungenen inklusive Bildung verweigert. Es wird höchste Zeit, dass der Bund mithilft bei der Umsetzung inklusiver Bildung in der frühkindlichen Bildung, in der Schule, in der Hochschule und in der beruflichen Bildung. Die Menschen erwarten zu Recht, dass sie ihre Blockade aufgeben.
Die SPD setzt sich dafür ein, das Menschenrecht auf inklusive Bildung konsequent umzusetzen. Doch dafür müssen weitere Voraussetzungen erfüllt werten.
- Noch herrscht in der Bevölkerung eine große Skepsis beim Thema Inklusive Bildung. Die Haltung der Menschen kann nur verändert werden, wenn es ein manifestes Bekenntnis der Bundesregierung für eine inklusive Gesellschaft gibt. Ihre Haltung, die Verantwortung für inklusive Bildung den Ländern zuzuschieben und ansonsten die Hände in den Schoß zu legen, ist peinlich und unverantwortlich.
- Auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem sind nicht immer Hundertprozent-Lösungen möglich. Praxisbeispiele zeigen, dass dies aber auch gar nicht notwendig sei. Wir müssen Inklusion vielfältig und differenziert denken und verfolgen.
- Es fehlen immer noch statistische Daten, z.B. zum Verbleib von Hochschulabsolventen mit Behinderungen. Auch hier muss es mehr Aufmerksamkeit für das Thema geben. Statistik liefert auch wichtiges Steuerungswissen für Politik und Verwaltung.
- Es bedarf dringend einer verbindlichen Zeitschiene mit klaren Vorgaben, ab wann es in Deutschland ein einklagbares Recht auf inklusive Bildung und konkrete Umsetzungsschritte gibt.
Im vorliegenden Antrag schlagen wir vor, einen Pakt für inklusive Bildung zu initiieren, der Bund, Länder und Kommunen umfasst. Jede staatliche Ebene muss ihrer Verantwortung gerecht werden und mithelfen. Ich möchte mich an dieser Stelle auf drei grundsätzliche Annahmen konzentrieren:
Zuallererst ist es unerlässlich, Inklusion als Aufgabe des gesamten Bildungswesens zu verstehen. Eine Beschränkung auf den Bereich Schule greift zu kurz. Aus diesem Grunde müssen die Übergänge zwischen Kindergarten, Schule, Ausbildung, Hochschule und Arbeitsplatz besonders berücksichtigt werden. Der Bund kann hier insbesondere im Bereich der Bildungsberichterstattung eine wichtige Rolle übernehmen.
Darüber hinaus muss die lokale Verantwortung stärker betont werden. Dabei geht es mir nicht darum, Verantwortung abzuschieben. Wir müssen viel mehr vor Ort die richtigen Voraussetzungen schaffen, um direkt und unmittelbar Probleme lösen zu können und die Netzwerke zu stärken. Die lokalen Bildungsbündnisse können dabei ein Ausgangspunkt für die Umsetzung inklusiver Bildung vor Ort sein.
Schließlich dürfen wir nicht vergessen, die Menschen bei der Umsetzung inklusiver Bildung zu stärken. Inklusive Bildung erfordert Fachkräfte, die auf heterogene Lerngruppen vorbereitet sind und darauf, kein Kind zurück zu lassen. Darum müssen Aus- und Fortbildung für alle pädagogischen Berufsgruppen in besonderer Weise ausgerichtet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung muss beim Thema inklusive Bildung endlich die Hände aus der Tasche nehmen und mit anpacken. Verweigern Sie sich nicht länger Ihrer Verantwortung.
Vielen Dank.