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Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen

Bundestagabgeordneter Oliver Kaczmarek: Inklusion ist gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen

„Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember hat die SPD-Bundestagsfraktion heute einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, der die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen unterstützt“, berichtet der heimische Bundestagsabgeordnete Oliver Kaczmarek aus Berlin. „Die Inklusion, dass heißt die umfassende gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen muss gestärkt und in allen Lebensbereichen umgesetzt werden: Zum Beispiel in der Schule oder am Arbeitsplatz. Dies ist eine gemeinsame Aufgabe für den Bund, die Länder und die Kommunen.“

Oliver Kaczmarek befasst sich bereits seit Monaten intensiv mit dem Thema. Für die SPD-Bundestagfraktion ist er zuständig für die Umsetzung der Inklusion im Bildungssystem, also das gemeinsame Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen. „Ich habe im Kreis Unna viele Gespräche geführt und mir in verschiedenen Einrichtungen ein Bild von inklusiver Bildung gemacht. Es gibt noch viele Fragen, die die Menschen bewegen: Wie wird das Recht behinderter Kinder im Schulalltag umgesetzt? Wie funktioniert Inklusion in der Praxis? Welche Rolle spielen die Förderschulen? Was kommt auf Schulen, LehrerInnen, Eltern zu und welchen Beitrag müssen die politischen Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen leisten? In der inklusiven Bildung gibt es noch keine fertigen Konzepte. Wir müssen den Weg zu einem inklusiven Bildungssystem gemeinsam mit allen Akteuren gestalten.“

Am 10. Januar 2012 wird der Abgeordnete zu einer großen Diskussionsveranstaltung zum Thema inklusive Bildung nach Bergkamen einladen.

3. Praxistag Inklusion: Vernetzte Bildung im Kompetenzzentrum

Um die Arbeit im Kompetenzzentrum für sonderpädagogische Förderung ging es am dritten und vorläufig letzten Praxistag in der Albert-Schweitzer-Schule in Bergkamen. Das Kompetenzzentrum bildet den Ausgangspunkt der Zusammenarbeit von sonderpädagogischer Förderung in den Förderschulen und im gemeinsamen Unterricht in Bergkamen. Konkret arbeiten die Lehrerinnen und Lehrer der Schule in der Förderschule und (als 3er-Teams) in den allgemeinen Schulen Bergkamens, in denen Kinder mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf unterrichtet werden. Sie gehen dann stundenweise in den Unterricht der allgemeinen Schule und machen spezielle Förderangebote für die Kinder. Damit sind die Lehrerinnen und Lehrer der Albert-Schweitzer-Schule Wegbereiter für die inklusive Bildung an allgemeinen Schulen in Bergkamen.

Zu Beginn meines Praxistages gehe ich nach einer kurzen Einführung in die Arbeit eines Kompetenzzentrums durch den Schulleiter in die sechste Klasse, wo sich die Schülerinnen und Schüler mit einigen Kinder-Yoga-Übungen  konzentrieren und zugleich körperlich entspannen. In der Mittelstufe gehört auch die Förderung der sozialen Kompetenz zu den Schwerpunkten und der Lehrerin gelingt es mit ihrem Konzept, die Schülerinnen und Schüler auf sich selbst zu fokussieren und in die Gruppe zu integrieren.

Danach geht es zurück in die 5. Klasse, wo ich kurze Zeit dem Mathematik-Unterricht zusehen kann. Auch hier arbeiten die Schülerinnen und Schüler konzentriert an ihren Aufgaben. Einige lösen in Einzelarbeit Aufgaben, die ihrem Leistungsvermögen entsprechen, und andere beteiligen sich an der Lösung einer Gemeinschaftsaufgabe an der Tafel.

Nach der Pause fahre ich mit einer Lehrerin an die Overberger Grundschule, wo mehrere Kinder im gemeinsamen Unterricht unterrichtet werden. In einem Fall bin ich bei einem Schreibtest dabei, der dazu dienen soll, den sonderpädagogischen Förderbedarf festzustellen. Im Anschluss gehen wir in eine zweite Klasse, die sich im Zahlenraum bis 100 orientiert. Nach einigen Aufgaben in der ganzen Klasse mit ihrer Klassenlehrerin gehen die Schülerinnen und Schüler daran, in Partnerarbeit oder allein ein Arbeitsblatt zu bearbeiten. Während dieser Phase stellt die Lehrerin der Albert-Schweitzer-Schule eine Kleingruppe zusammen, in der einige Schülerinnen und Schüler noch einmal gesondert gefördert werden. Die Klassenlehrerin und die Lehrerin der Albert-Schweitzer-Schule stimmen sich dabei ab und resümieren, was die nächsten Schritte für die Kinder mit dem Förderbedarf sein können.

Zurück in der Albert-Schweitzer-Schule nehme ich am Mittagessen in der offenen Ganztagsgrundschule teil. Mit Unterstützung der Stadt Bergkamen wurden hier in zwei Gruppen 24 Plätze für die Ganztagsbetreuung geschaffen, die in zwei neu erbauten Räumen untergebracht sind.

Nach dem Mittagessen geht es weiter zu Betriebsbesuchen bei Betrieben, die Praktikanten der Albert-Schweitzer-Schule aufnehmen. Sie sind Schüler der Oberstufe und sollen eine Orientierung für ihre spätere Berufswahl erhalten. Wir besuchen das Hermann-Görlitz-Seniorenzentrum in Bergkamen, wo ein 15jähriger Schule sein erstes Praktikum in der Küche macht, und wir besuchen einen 16jährigen Schüler, der bei der Firma Vahle in Kamen sein Praktikum absolviert. Beide Schüler sind sehr zufrieden mit ihrer Arbeit und auch die Betriebe können Gutes über die Praktikanten berichten. Beide erzählen, wie ihr Praktikumstag verläuft und gehen gemeinsam mit ihrem Lehrer die Praktikumsmappen durch. Berufsorientierung steht in diesem Bildungsabschnitt ganz oben auf dem Plan der Albert-Schweitzer-Schule und die Lehrerinnen und Lehrer gehen behutsam bei der Entwicklung von Perspektiven für die Jugendlichen am Arbeitsmarkt vor.

Zum Abschluss des Praxistags nehme ich an der letzten Stunde der Lehrerkonferenz teil, wo ich meine Eindrücke schildere und wir offen über Chancen und Defizite bei den Rahmenbedingungen für die Schule reden. Ich selbst ziehe natürlich ein positives Fazit, denn durch diesen Tag habe ich die Gelegenheit gehabt, den Alltag in einem Kompetenzentrum ein wenig kennenzulernen.

Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Inklusive Bildung wird mit diesem Kompetenzzentrum behutsam in den allgemeinen Schulen eingeführt und die Erfahrungen, die nun in den Grundschulen gemacht werden, können Eingang finden in die weiteren Schritte in der Sekundarstufe I. In der Albert-Schweitzer-Schule habe ich Profis für Inklusion kennengelernt, die ihre Fachlichkeit in die Förderung von Kindern einbringen können. Es wäre aus meiner Sicht auch nicht übertrieben, wenn man festhält, dass hier von den Förderschullehrern etwas in den Schulalltag insbesondere in der Sekundarstufe I eingebracht werden wird, was es dort so noch nicht oder nur kaum gibt: der Umgang mit verschiedenartigen Schülerinnen und Schülern, den sog. heterogenen Lerngruppen.

Trotzdem gibt es keine fertigen Konzepte und es wäre falsch, für den Übergang in die Inklusion ausgerechnet von der Politik fertige Konzepte einzufordern. Politik kann nur einen Rahmen schaffen und gesellschaftliche Ziele vorgeben. Die Ausgestaltung muss jedoch von den Praktikern in den Schulen selbst geleistet werden. Das ist der beste Weg, weil dann die Menschen, die jeden Tag mit der Thematik zu tun haben, das Konzept für die Inklusion entwickeln. Und es muss möglich sein, dass jede Schule ihren oder jeder Schulverbund seinen eigenen Weg findet. Dabei sind Missverständnisse nicht ausgeschlossen und wir sollten die Geduld haben, durch Versuch und Irrtum den besten Weg für inklusive Bildung zu finden. Ich selbst traue mir nicht zu, jetzt vorherzusagen, ob am Ende einer solchen Entwicklung noch bestimmte Förderschulen bestehen oder nicht. Auch diese Offenheit muss man im Interesse der Schülerinnen und Schüler aushalten. Was ich mir jedoch in jedem Fall wünschen würde, ist die Beibehaltung von Kompetenzzentren für sonderpädagogische Förderung. Womöglich sind zukünftig alle Lehrerinnen und Lehrer im Wesentlichen an allgemeinen Schulen tätig. Aber es wäre gut, wenn es für die besonderen Bedarfe der sonderpädagogischen Förderung auch einen Ort der Kompetenzbündelung und -entwicklung gibt, wo z.B. Fortbildungen und Dienstbesprechungen stattfinden können.

Die Albert-Schweitzer-Schule geht zusammen mit ihren Partnern in Bergkamen für andere Schulen voran. Ich finde es gut, dass sie sich neuen Herausforderungen stellt, auch wenn natürlich manchmal auch Zweifel bleiben, ob der eingeschlagene Weg immer in die richtige Richtung führt. Am Ende bleibt aber wichtig, was für die Schülerinnen und Schüler gut ist, und ich habe den guten Eindruck gewonnen, dass es genau das ist, was alle Beteiligten wollen.

 

Lesen Sie hier auch den Bericht zum Praxistag in der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule in Bergkamen-Heil.

Lesen Sie hier auch den Bericht zum Praxistag im Montessori-Kinderhaus in Unna.

2. Praxistag Inklusion: Wer Inklusion will, braucht Sonderpädagogik

Bei meinem zweiten Praxistag zur inklusiven Bildung konnte ich in den Alltag der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule (FvB) in Bergkamen-Heil schnuppern. Die FvB ist eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Dort werden 285 Schülerinnen und Schüler aus dem nördlichen und mittleren Kreis Unna in 24 Klassen von etwa 70 Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet. Die Schule arbeitet als Ganztagsschule.

Bei meiner Veranstaltung zur Inklusiven Bildung im vergangenen Jahr hatte mich die Schulleiterin eingeladen, die Schule zu besuchen, um ein besseres Bild zu bekommen, wie eine Förderschule funktioniert. Das habe ich gerne angenommen und ich haben tatsächlich ein anderes, vielleicht vollständigeres Bild davon bekommen, wie diese Schulform arbeitet.

Der Praxistag beginnt am Morgen mit dem Besuch der Unterstufe. In der FvB lernen die jüngsten Schülerinnen und Schüler mehrerer Jahrgangsstufen zusammen in einer Klasse. Zunächst lösen sie individuell Aufgaben mit Hilfe von passenden Lernmaterialien wie Puzzle oder Spiele. Danach gibt es einen gemeinsamen Morgenkreis, bei dem die Schülerinnen und Schüler einen täglich wiederkehrenden Rhythmus durchlaufen. Dabei füllen sie ihr Klassenhaus, das symbolisch an der Wand hängt, mit ihren Bildern, Namen und Symbolen. In der Klasse sind zwei Lehrerinnen anwesend, die sich um die Kinder kümmern und sie bei der Lösung der Aufgaben unterstützen. Nach dem Morgenkreis geht es in zwei Lerngruppen weiter.

Für mich geht danach weiter in die Oberstufe. Hier sind die Schülerinnen und Schüler schon etwas älter, schätzungsweise um die 14-16 Jahre. Auch hier arbeiten sie individuell an der Lösung ihrer Aufgaben. In dieser Klasse haben die Lehrer das Wochenplan-Prinzip eingeführt. Das heißt, die Schülerinnen und Schüler erhalten ihr Arbeitspensum für eine ganze Woche zu Beginn und entscheiden selbst, in welcher Reihenfolge sie die einzelnen Aufgabenblöcke abarbeiten. Die einen rechnen, die zweiten lesen und die dritten machen freie Aufgaben. Am Ende der Stunde wird Bilanz gezogen und die Schüler geben an, welchen Aufgabenblock sie bearbeitet haben. Durch das Abhaken von Blöcken auf einer für alle sichtbaren Übersicht können sie ihren Arbeitsfortschritt dokumentieren und sehen. In der Pause nehmen dann alle ihr gemeinsames Frühstück ein, das eine andere Gruppe aus dieser Klasse in der Zwischenzeit vorbereitet hat.

Die Pausenstruktur hat die Schule vor einigen Jahren umgestellt. Die Schülerinnen und Schüler verbringen ihre Pause beaufsichtigt außerhalb des Klassenraumes in einem bestimmten Bereich der Schulgebäude und auf dem Hof. So können sie selbst darüber entscheiden, wie und mit wem sie ihre Pause verbringen möchten.

Im Anschluss nehme ich an einer Gesprächsrunde von Lehrerinnen, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern der Schule teil. Die Schülerinnen und Schüler der Werkstufe berichten zum Beispiel über ihren Alltag im Metallbau oder in der Wäscherei. Sie kommen aber auch sehr direkt zu dem, was ihre Schule ausmacht („Die Lehrer sind cool“) oder zu dem, was sie von ihrer Schule und dem Leben nach der Schule erwarten. Sie wollen etwas machen, „um im Leben einmal weiter zu kommen“. Das übergreifende Thema unserer Region, der Übergang von der Schule in den Beruf, ist auch hier das wichtigste Thema für Schüler und Eltern. Diese sorgen sich darum, dass es zu wenige Plätze für ihre Kinder in Werkstätten für Behinderte gibt und sie regen u.a. an, dass mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung im öffentlichen Sektor geschaffen werden. Die meisten von ihnen haben sich bewusst für den Besuch einer Förderschule und gegen den gemeinsamen Unterricht in einer allgemeinen Schule entschieden.

Meine vorläufige Schlussfolgerung dieses zweiten Praxistags: wer inklusive Bildung will, d.h. möglichst viele Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen lassen, der braucht die Sonderpädagogik. In der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule arbeiten Expertinnen und Experten für die Pädagogik für besondere Kinder. Ihr Wissen, ihre Möglichkeiten, auf Kinder mit Behinderung individuell einzugehen, werden auch in der inklusiven Bildung benötigt. Es wäre ein Irrglaube, wenn man meinte, alle Lehrer müssten nur ein bisschen Sonderpädagogik im Studium zusätzlich studieren und schon könnten sie auch inklusiv unterrichten.

Viel mehr geht es darum, dass alle Lehrerinnen und Lehrer mit heterogenen Lerngruppen arbeiten können und zusammen mit Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen im Team eine inklusive Klasse unterrichten können. Davon sind wir leider in unserem derzeit auf Selektion angelegten gegliederten Schulsystem entfernt. Aber ich bemerke auch, wie das Interesse an der jeweils anderen Berufsrichtung zunimmt und wie die Bereitschaft zur Kooperation wächst. Inklusion ist derzeit eines der wirklich großen Themen der Bildungspolitik. Und alle können voneinander lernen. Ich würde gerne die Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen ermuntern, ihre Kompetenz im Umgang mit heterogenen Lerngruppen etwa oder mit jahrgangsübergreifendem Unterricht selbstbewusst in die Inklusionsdebatte einzubringen. Denn davon können auch die allgemeinen Schulen lernen.

Der nächste Praxistag im Oktober führt mich dann in den gemeinsamen Unterricht. Darauf bin ich gespannt. Und nach diesem Praxistag werde ich Bilanz ziehen und gemeinsam mit meinem Kollegen aus dem Landtag und den Kreispolitikern ganz konkrete nächste Schritte vereinbaren. So können wir gemeinsam daran mitwirken, dass der Kreis Unna tatsächlich ein Vorreiter für inklusive Bildung wird!

1. Praxistag Inklusion: Kinder machen keinen Unterschied

Über den gemeinsamen Alltag von Kindern mit und ohne Behinderung konnte ich mir bei meinem Praxistag im Montessori-Kinderhaus in Unna einen Tag lang ein Bild machen. Dabei habe ich wieder festgestellt, dass für Kinder untereinander das, was für Erwachsene ein Problem zu sein scheint, überhaupt kein Problem ist.

Mitarbeiterinnen, Trägerverein und Leitung des Montessori-Kinderhauses in Unna hatten mich vor einiger Zeit zu einem Praxistag eingeladen, um den Alltag in einer Kindertageseinrichtung kennenzulernen, die sich das gemeinsame Leben und Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung auf die Fahnen geschrieben hat. Vom Eintreffen der Kinder, über Morgenkreis und freies Lernen und Spielen bis zum Mittagessen war ich in der Gelben Gruppe unterwegs. Dabei haben mich die Erzieherinnen und Pädagoginnen immer wieder die Abläufe einbezogen und mir erklärt, auf welche Art und Weise sie mit den Kindern arbeiten. So habe ich auch einen kleinen fachlichen Einblick darin erhalten, mit welchem pädagogischen Konzept diese Einrichtung Inklusion betreibt. Am Nachmittag haben alle Kinder eigenständige Aktivitäten entwickelt: die einen haben mit den verschiedenen Leseboxen gespielt, die nächsten selbständig Plätzchen gebacken und die dritten Lautübungen mit einem Kind gemacht. Zwischendrin gab es immer wieder zusätzliche Angebote wie Bastel- und Werkangebote oder das Training für ein Fußballspiel. So war der Praxistag ein zweiter Einblick in die Abläufe in einer Kindertageseinrichtung, nachdem ich im vergangenen Jahr schon einmal einen Tag lang in der KiTa Rasselbande in Königsborn hospitiert habe. Hier wie dort habe ich professionelle Abläufe, eine komplexe Struktur und viel Eingehen auf die Individualität von Kindern erlebt.

Am Nachmittag hatte das Montessori-Kinderhaus eine Gesprächsrunde mit Eltern, Therapeuten, Erzieherinnen, Ärzten etc. vorbereitet, in dem wir meine Beobachtungen und grundsätzliche Meinungen zum Thema Inklusion austauschen konnten. Hier wurden zahlreiche Aspekte aus dem Praxisblick aufgeworfen, die ich für meine politische Arbeit im Bundestag und als zuständiger Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für inklusive Bildung mitnehmen konnte. So wurde mir beispielsweise noch einmal verdeutlicht, dass der Umgang mit Menschen mit Behinderung auch oft besondere Kenntnisse benötigt. Die Hürde sollte nicht zu hoch sein, aber mir ist klar, dass die Sonder- und die Heilpädagogik als Spezialdisiplinen und Ausbildungsgänge im Zeitalter der Inklusion zukünftig eher mehr als weniger Gewicht erhalten werden. Dabei kommt es darauf an, dass in den Schulen und Kindertageseinrichtungen Menschen aus unterschiedlichen pädagogischen Berufsrichtungen zusammen kommen und miteinander arbeiten. Das muss in unserer Schulkultur noch eingebübt werden. Kritisiert wurde auch die reale Zuteilung von Integrationshelfern in Bildungseinrichtungen, die Kinder mit Behinderung aufnehmen. Das sind Menschen, die Kindern helfen, die beispielsweise aufgrund einer motorischen Einschränkung für manche Handgriffe Unterstützung im Alltag benötigen. Die Kritik insbesondere aus Schulen war, dass die zugeteilten Stundenkontingente in der Praxis bei weitem nicht ausreichten.

Viele weitere Aspekte wurden angesprochen und werden sicher bei nächster Gelegenheit wiederum aufgegriffen. So beschäftigt die Betroffenen, was an die Stelle der ehemaligen Zivildienstleistenden rückt, wenn sich nicht genug junge Menschen für den unzureichend ausgetatteten Freiwilligendienst melden. Die Übergänge von der KiTa in die Schule und später in den Beruf wurden diskutiert. Ebenso, dass Inklusion derzeit nicht als Ziel in einigen kommunalen Schulentwicklungsplänen diskutiert wird. Es wurden so viele Fragen und Kritikpunkte aufgeworfen, dass eine Mutter, die sich ganz konkret entscheiden muss, ob ihr Kind in eine Förderschule oder den Gemeinsamen Unterricht gehen soll, am Ende einbrachte, dass sie nun mehr Zweifel habe als vor der Diskussion. Das war natürlich von niemandem beabsichtigt, zeigt aber bei aller Professionalität auf, dass es am Ende immer darum geht, Betroffene mitzunehmen, sie stark zu machen und für die Kinder den besten Weg zu finden.

Dem Praxistag im Montessori-Kinderhaus werden zwei weitere in diesem Jahr in zwei Förderschulen folgen. Daher sind meine Erkenntnisse noch vorläufig und bruchstückhaft. Aber drei Dinge konnte ich am Schluss dennoch sagen:

  1. Die, die jetzt schon für inklusive Bildung kämpfen, begreife ich als Vorreiter, als Pioniere im besten Sinne. Sie stoßen leider oft auf Widerstände und gehen dem einen oder der anderen vielleicht auch zu ungeduldig voran. Aber sie sind wichtig, um Akzeptanz in jeder Hinsicht (also auch bei betroffenen Eltern) zu organisieren. Dazu gehört auch, zu akzeptieren, dass sich Eltern bewusst für eine Beschulung in einer Förderschule entscheiden und auch, für andere Kinder Partei zu ergreifen, deren Lobby noch nicht so groß ist. Jedenfalls sind diese Pioniere unverzichtbar und ihnen gebührt ein großer Dank für ihren unermüdlichen Einsatz.
  2. Es geht in erster Linie um Menschen und um das Akzeptieren ihrer Individualiät und ihres individuellen Weges. Die große pädagogische Herausforderung bleibt also, um mit Hartmut von Hentig zu sprechen, die Sachen zu klären und die Menschen zu stärken! Hierfür brauchen wir in vielen Bereichen unseres Bildungswesens eine neue Philosophie, die auf Integration und nicht auf Selektion beruht. Es muss selbstverständlich sein, zunächst einmal jedes Kind anzunehmen, und keines wegzuschicken.
  3. Inklusion kostet auch Geld. Das zu bestreiten, wäre naiv. Und das zu verhindern, wäre einer der reichsten Gesellschaften auf der Welt, die in ihrer Verfassung im ersten Satz auf die unantastbare Würde des Menschen abzielt, nicht würdig. Geld darf nicht das Argument sein, jeden Fortschritt von vornherein zu verwerfen. Aber wer kein zusätzliches Geld bereitstellen will, der sperrt Türen zur Inklusion zu. Zufälligerweise wird am gleichen Tag der Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Konvention zur Inklusion vorgestellt. Im Bildungsausschuss des Bundestags haben wir als SPD einen Antrag der schwarz-gelben Koalition unter anderem deshalb abgelehnt, weil die Koalition, zusätzliche Haushaltsmittel ausgeschlossen hat.

Am Schluss möchte ich vor allem allen danken, die mir diesen Praxistag ermöglicht haben. Das sind die Leiterin, der Förderverein und alle Beschäftigten des Montessori-Kinderhauses sowie alle Eltern und Partner der Einrichtung, die an der Gesprächsrunde teilgenommen haben. Insbesondere aber gilt dieser Dank den Kindern, die mich an diesem Tag so vorbehaltlos empfangen haben und damit vielleicht den spürbarsten Eindruck aller Voraussetzung für Inklusion vermittelt haben: Offenheit und Neugier auf Menschen.

Die nächsten Praxistage finden in der zweiten Jahreshälfte in der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule in Heil und der Albert-Schweitzer-Schule in Oberaden statt. Dazu wird es auch eine entsprechende Abschlussveranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion vor Ort geben. Achten Sie für die Terminhinweise auf die örtliche Presse und diese Internetseite.

Das Konzept der SPD-Bundestagsfraktion zur Umsetzung der UN-Konvention finden Sie hier.

Ein Tag für die Rechte von Menschen mit Behinderung

Zusammen mit dem Bundesvorsitzenden der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Robert Antretter habe ich mich einen Tag lang darüber erkundigt, wie die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in meinem Wahlkreis umgesetzt wird. Natürlich sind wir von dieser gleichberechtigten Teilhabe noch ein Stück entfernt, aber ich habe Menschen getroffen und Projekte kennen gelernt, die außerordentlich Mut machen, auf dem Weg diese Menschenrechte weiter einzufordern und umzusetzen.

Im Dezember vergangenen Jahres habe ich Robert Antretter, selbst Bundestagsmitglied von 1980 – 1998, im Bundestag kennen gelernt. Aus dem damals gefassten Vorhaben, gemeinsam im Kreis Unna Projekte zu besuchen und über die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung zu diskutieren, istg am vergangenen Donnerstag dann Wirklichkeit geworden. Nach einem Mittagessen mit Vertretern von Eltern- und Familieninitiativen haben wir die Familienbande in Kamen besucht, die uns ihr Projekt eines integrativen Mehrgenerationenhauses vorgestellt hat. Da dies nun schon mein zweiter Besuch bei der Familienbande war, war ich beeindruckt, mit welcher Beharrlichkeit und Fantasie dieser ehrenamtliche Verein bei seinem Projekt weiter gekomen ist. Robert Antretter war seinerseits beeindruckt von dem Ansatz, der unterschiedliche Generationen und damit auch behinderten- bzw. familienpolitische Ansätze miteinander verbindet.

Im Anschluss haben wir u.a. zusammen mit dem Vorsitzenden der Lebenshilfe im Kreis Unna Claus Brumberg die Wohnstätte der Lebenshilfe in der Martinstraße in Unna besucht. Diese Einrichtung ist seinerzeit von Eltern gegründet worden, die sich um den Verbleib ihrer behinderten Kinder gesorgt haben, wenn sie einmal nicht mehr für sie sorgen können. Heute leben dort fast 30 Menschen mit geistiger Behinderung. Das Gespräch hat mir noch einmal vermittelt, dass solche Einrichtungen trotz aller richtigen Ansätze in der Inklusions-Debatte weiterhin wichtig bleiben und gerade einigen Eltern auch eine Sicherheit bieten können.

Den Abschluss des Tages bildete eine Podiumsdiskussion im Lebenszentrum Königsborn, bei der es insbesondere um die Frage der Inklusion im Bildungswesen ging. Etwa 70 Menschen aus den verschiedensten Bereichen von Elterninitiativen, Förderschulen, Sozialarbeit, Ehrenamt u.v.m. waren dazu in das Lebenszentrum gekommen. In der Diskussion, an der neben Robert Antretter und mir auch Dr. Edith Kirsch von der Initiative Down Syndrom im Kreis Unna und der Unnaer Bürgermeister Werner Kolter teilnahmen, wurden auch Widersprüche deutlich. Während auf der einen Seite konsequent für die vollständige Inklusion, d.h. die Integration von Kindern mit Behinderung in den Unterricht der allgemeinen Schulen, Partei ergriffen wurde, wurden auf der anderen Seite nicht minder konsequent die Möglichkeiten einer Beschulung in Förderschulen betont. Die wichtigste Erkenntnis für mich ist vielleicht die, dass solche Foren der Diskussion über den besten Weg geöffnet werden müssen, damit am Ende ein Weg beschritten werden kann, der den betroffenen Menschen bestmögliche Chancen eröffnet. Dass die Diskussion darüber für mich noch nicht beendet ist, zeigt sich schon allein daran, dass ich auf der Veranstaltung zu einem Besuch einer Förderschule eingeladen wurde, der spontan in ein Praktikum umgewandelt wurde. Mittlerweile haben schon drei Einrichtungen ein solches Praktikum angeboten. Über die Erfahrungen werde ich hier natürlich berichten.