Licht und Schatten – Entscheidungen zu Europa

Am vergangenen Freitag hat der Bundestag sehr wichtige Entscheidungen im weiteren Umgang mit der Finanzmarktkrise getroffen. Nach langer Diskussion innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion und in verschiedensten Gesprächsrunden habe ich dem Paket aus Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM), Finanztransaktionssteuer, Wachstumsprogrammen für Europa und Fiskalvertrag zugestimmt. Zu einzelnen  Punkten habe ich Kritik und teilweise erhebliche Bedenken. Am Ende muss man abwägen und sich entscheiden. Einige Erwägungen möchte ich hier gerne darstellen.

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass angesichts der sich verschärfenden Finanzmarktkrise und globaler weltwirtschaftlicher Entwicklungen keine Alternative dazu besteht, die europäische Einigung weiter und konsequenter voranzutreiben. Deutschland hat als größte Volkswirtschaft in der EU ein vitales Interesse daran. Etwa 50 bis 60 % des deutschen Exports gehen in die Europäische Union und damit insbesondere in den Euro-Raum. Millionen Arbeitsplätze in Deutschland sind davon abhängig, dass es in Europa solide Volkswirtschaften und Staatshaushalte gibt. Eine Rückkehr zur D-Mark hätte katastrophale Auswirkungen. Insofern ist es nicht nur ein Akt der Solidarität, wenn wir die Stabilisierung des Euro vorantreiben. In einer globalisierten Weltwirtschaft haben wir nur als gemeinsames Europa eine Chance  unseren Wohlstand zu halten.

Insofern ist ein Schutzschirm gegen die spekulativen Angriffe auf unsere Währung durchaus sinnvoll. Die Wirkweisen des ESM habe ich in meinem aktuellen Info-Dienst zusammen gefasst. Aus meiner Sicht kommt er vielleicht zu spät. Die Bundeskanzlerin hat zu lange gezögert, die Finanzmarktkrise bagatellisiert und letztlich zu einer Staatschuldenkrise umgedeutet. Alles das hat nicht nur Zeit sondern auch viel Geld gekostet. Die Entscheidung zum ESM hätte viel früher fallen müssen.

Ohne Zweifel übernimmt Deutschland innerhalb des ESM eine große Verantwortung und auch ein gewisses Risiko. Einige Folgen sind auch heute noch nicht 100%ig absehbar, aber nicht-Handeln ist in dieser Situation keine Alternative. Es macht Sinn, das Risiko einiger Euro-Staaten, die sich kein Geld mehr auf den Finanzmärkten leihen zu können, abzuschirmen, indem der ESM das Geld leiht und es zu marktüblichen Preisen an die antragstellenden Staaten weiter gibt. Die auf dem Europäischen Rat in der vergangenen Woche ausgehandelte Direktfinanzierung von Banken war übrigens noch nicht Gegenstand der Beschlussfassung am Freitag.
Insgesamt muss jedoch die Logik durchbrochen werden, dass der Finanzsektor an der Beseitigung der Folgen der durch ihn selbst verursachten Krise nicht weiter beteiligt wird. Hier haben wir gegen den Willen der schwarz-gelben Koalition einen entscheidenden Durchbruch errungen: mit der Finanztransaktionssteuer wird der Finanzsektor zukünftig für die Beseitigung der Folgen der Krise mit einstehen müssen. Deutschland wird mit 9 weiteren Staaten diese Steuer im Wege der verstärkten Zusammenarbeit einführen. Ich bin sicher, weitere werden folgen.

Hinzu kommt ein Paket aus Wachstumsimpulsen, mit der die wirtschaftliche Lage in allen Ländern der EU und insbesondere den Krisenländern angekurbelt werden soll. Die Logik ist ganz einfach: wenn die Auflagen eingehalten und Kredite zurückgezahlt werden sollen, muss es in den betroffenen Ländern eine stabile wirtschaftliche Lage geben. Insbesondere ist dabei die Jugendarbeitslosigkeit zu beachten. In Spanien sind beispielsweise mehr als 45 % aller Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren arbeitslos. Wir müssen deshalb gerade für die Generation, die einmal das Europa der Zukunft erfolgreich tragen soll, Chancen auf Arbeit schaffen. Spanien ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass dazu auch verstärkte Reformanstrengungen nötig sind, denn auch vor der Krise lag die Jugendarbeitslosigkeit bereits bei um die 20 % und war damit deutlich mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland.

Das vierte Element in dem Paket vom Freitag ist der sog. Fiskalvertrag, mit dem die Staaten zu einem rigiden Ausgabeverhalten, gezwungen werden sollen, um Staatsschulden einzudämmen. Hier gibt es einige schwerwiegende Bedenken, die ich teile: die Vorgaben des Fiskalpakts sind ein (begrenzter) Eingriff in die Haushaltsautonomie der beteiligten Länder, da er Vorfestlegungen zum Ausgabeverhalten macht. Der Fiskalpakt verpflichtet zu einem drastischen, vielleicht unrealistischen Abbau von Schulden pro Jahr, der die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse in Deutschland noch einmal verschärfen würde. Und der Fiskalpakt betrachtet nicht die Einnahmeseite von Staaten, insbesondere dort, wo es strukturelle Defizite gibt. Er schließt sie aber auch nicht aus. Fakt ist, ohne eine andere Einnahmepolitik der strukturell unterfinanzierten Staaten wird es auch keinen Schuldenabbau geben.

Schwerwiegend ist der Vorwurf, der Fiskalpakt greife in die Haushaltsautonomie ein und höhle das Mitbestimmungsrecht des Parlaments aus. Hier gilt wie beim ESM für mich, die Grundsatzfrage zu klären. Mir ist lieber, der Bundestag überträgt Rechte an das Europäische Parlament, was ich im Übrigen für die Zukunft für notwendig halte, als an Exekutivorgane wie den sog. Gouverneursrat. Allerdings sind die Vertreter in diesen Gremien immer auch an die Entscheidungen des Bundestag und seiner Gremien gebunden. Vielmehr gilt es aber die Frage zu beantworten, wie viel Vergemeinschaftung wir in Europa wollen und wie viel wir brauchen. Die zentrale Frage ist nach dieser Diskussion für mich: welche Institutionen, demokratisch legitimiert und kontrolliert, sollen in Zukunft die Finanzmarktkrise bekämpfen und die wirtschaftliche Entwicklung in Europa befördern? Insofern ist der Ruf nach einer zeitgemäßen Weiterentwicklung unseres Grundgesetzes ein interessanter Diskussionsanstoß.

Zuletzt sei hier noch darauf hingewiesen, dass sich die Länder und der Bund vor der Abstimmung des Paketes aus ESM und Fiskalpakt auf ein Paket geeinigt haben, mit denen die Länder Kompensationen für die entstehenden Verluste insbesondere aus dem Fiskalpakt erhalten und die Kommunen finanziell bei der Eingliederungshilfe entlastet sowie weitere Unterstützung beim Ausbau der Ganztagsbetreuung ermöglicht. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat seine Zustimmung zu den Gesetzen erteilt.

Insgesamt gibt es Licht und Schatten bei der Entscheidung vom Freitag. Der Fiskalpakt bereitet erhebliche Bedenken, bei der Finanztransaktionssteuer und dem Wachstumspaket haben SPD und Grüne Erfolge erzielt. Dieser Erfolg ist auch der beharrlichen Verhandlungsführung gegenüber der schwarz-gelben Koalition zu verdanken. Ich habe die Verhandlungen immer im Paket betrachtet. Eine Zustimmung zum Fiskalpakt war unter Hintanstellung inhaltlicher Bedenken nur möglich, da die Bundesregierung unseren Weg von Beteiligung der Finanzmärkte und Wachstumsimpulsen mitgegangen ist . Eins war ohne das andere nicht zu haben.

Natürlich hätte ich mir auch vorstellen können, den Fiskalpakt abzulehnen und den Rest mitzunehmen, aber das hätte aus meiner Sicht den politischen Prozess verzerrt und wäre nicht fair gegenüber den Mitgliedern meiner Fraktion gewesen, die Finanztransaktionssteuer und Wachstumspaket unter der Bedingung der Zustimmung zum Fiskalpakt ausgehandelt haben. Insofern war das gesamte Paket ein Kompromiss unter Parteien, die zum Teil grundsätzliche Unterschiede in der Auffassung der Krisenlösung haben und die Entscheidung darüber eine Abwägung, bei der ich den gesamten Prozess und das Paket betrachtet habe.

2 Kommentare
  1. horst mecklenbrauck sagte:

    Endlich ist die gerade die Kommunen in NRW finanziell jetzt schon unglaublich belastende und in Zukunft noch steigende Eingliederungshilfe auf die Agenda gekommen. Ich will hoffen, dass es gelingt, dass der Bund diese Kosten tatsächlich übernimmt. In NRW haben außerdem die Kommunen kaum Einfluss auf die mit der Bewilligung von Eingliederungshilfen an den entsprechenden Personenkreis zusammenhängenden Sach- und Tatsachenentscheidungen, diese werden in der Regel von den Landschaftsverbänden beurteilt und bewilligt.Es handelt sich daher sicher um eine staatliche Aufgabenerfüllung und sollte auch vom Bund/Land bezahlt werden. Ich denke, in anderen Bundesländer tragen diese auch selbst und nicht die Kommunen die Kosten. Von daher wird die Entlastung auch nicht alle Kommunen in der BRD gleichmäßig entlasten. Meine Sorge ist nur, dass „jemand“ auf die Idee kommt,die ab 2018 nicht mehr von den Kommunenen zu leistenden Aufwendungen für die Deutsche Einheit quasi gegenzurechnen und damit netto für diese nichts herauskommt.

    • Oliver Kaczmarek sagte:

      Lieber Horst, vielen Dank für deinen Hinweis. Der jetzt vorgelegte Kompromiss entspricht dem Beschluss des SPD-Bundesparteitags, nachdem 4 Mrd. € für die Entlastung der Kommunen bereit gestellt werden sollen. Das Gesamtaufkommen der Eingliederungshilfe beträgt derzeit bundesweit ca. 12,5 Mrd. € mit einem Aufwuchspotenzial von 50 %, d.h. wir reden über eine Summe von demnächst 20 Mrd. €. Die lässt sich auch im Bundeshaushalt nicht so einfach mobilisieren. Dennoch müssen wir einen Weg finden, wie Bund und Land die Kommunen weiter entlasten können. Hier ist es aus meiner Sicht nötig, grundsätzlicher über die Finanzbeziehungen nachzudenken. Mit dem jetzigen Verhandlungsergebnis zwischen Bund und Ländern ist zumindest ein spürbarer Einstieg geschafft worden. Glückauf! Oliver Kaczmarek

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